Es kann sich einzig doch darum handeln, mit etwas gutem Willen der anderen Naturanlage gerecht zu werden, die eben die andere Betrachtungsweise gewährt, indem ja nach dem Dichterwort das, »was Brot in eines Sprache, Gift heißt in des andern Zunge« und inbesondere »der Gruß der frommen Lippe Fluch scheint in dem fremden Ohr⁠ ⁠: das ruft diesen Schmerz empor«. »Nun, so lernt denn seine Sprache«, heißt es aber weiter, »er wird eure nimmer lernen⁠ ⁠ Man muß mit Deutschland deutsch sprechen. Eine gewisse Erleichterung des Verkehrs wäre zunächst schon angebahnt, indem man einfach vorweg annimmt, daß das Gegenteil gemeint sei, wiewohl auch das nicht sicher ist. Wissen wir denn, wie ein Löwe die Dinge sieht⁠ ⁠? Wir können ihn nur nach seinen Taten beurteilen⁠ ⁠; finge er plötzlich an zu sprechen, wer weiß, was für ein Kommuniqué da herauskäme und wie dargetan wäre, sie seien für das Königreich getan worden und im Ethos ihm keins der andern Raubtiere vergleichbar. Das Geheimnis, das der Preuße für die Verarbeitung von Eindrücken hat, deutet sich wohl an, aber ohne sich zu verraten, vor allem in der unbeirrbaren Erfolgssicherheit bei Unternehmungen, die zum Scheitern verurteilt sind. Scheut vor keinem technischen Fortschritt zurück, um der Welt ad oculos et aures zu demonstrieren, was ihr mißfallen muß, und ihren Beifall für Erscheinungen anzusprechen, deren Zeitgenossenschaft zu teilen sie verschmähen möchte. Man sollte etwa glauben, daß auch einer deutschen Mehrheit, die aus Geschöpfen Gottes besteht, diese Lautsprecher von Natur, denen sie sich ausgeliefert hat, Mißbehagen verursachen⁠ ⁠; man sollte hoffen, daß ihr die Erweiterung der akustischen Möglichkeiten des Rundfunks und der optischen einer illustrierten Presse das Bewußtsein der Absurdität beibringt, die ihrem kulturellen Dasein nunmehr aufgezwungen ist. Fällt es den Deutschen nicht auf — denn den andern fällt es auf —, daß keine Nation nicht nur so häufig sich darauf beruft, daß sie eine sei, sondern daß im Sprachgebrauch der ganzen Welt durch ein Jahr nicht so oft das Wort »Blut« vorkommt wie an einem Tag dieser deutschen Sender und Journale⁠ ⁠? Blut und Erde, als gäbe es so etwas nur hier. Und immer neue Begriffsbestimmungen für den Deutschen, für die Deutsche und für das Deutsche, als wäre das alles eben erst von einer deutschen Expedition entdeckt worden. Mammutknochen aus der Scholle geholt. »Der deutsche Mensch«, »der deutsche Arbeitsmensch«, das Staatsvolk, der Reichsbürger, der dem Reichsvolk zugehört, und dergleichen mehr, womit sich der Armut keine Stulle belegt.Sind’s Menschenstimmen, die mein Ohr vernimmt⁠ ⁠?Wie es mir gleich im tiefsten Herzen grimmt⁠ ⁠!Gebilde, strebsam, Götter zu erreichen,Und doch verdammt, sich immer selbst zu gleichen.— — — — — — — — — — — — — — — — —Die Ungestalten seh ich anAls irden-schlechte Töpfe,Nun stoßen sich die Weisen dranUnd brechen harte Köpfe. Sollten denn nicht wenigstens diese Stimmen und diese Gesichter dem von einer Mutter Geborenen Aufschluß gewähren, indem er doch nichts hört als das Gebell des immer gleichen Inhalts und als hochpolitische Faktoren Monstren gewahr wird, wie sie Präuschers Panoptikum zeigt, weil sie einst auf Dienstboten mit Sparkassabuch magnetisch gewirkt haben, und vor allem das schlichte Antlitz, dem man schon in einem alpenländischen Gasthofe begegnet sein muß, dessen Dependance einer »Teppetanz« nannte. Was sich da in allen Varianten einer als Zielsetzung keineswegs erwünschten Volksmäßigkeit darbietet, in allen Typen der Erdgebundenheit zwischen Waterkant und Mühlviertel⁠ ⁠; wie da unermüdliche Illustration dem Versuch gerecht wird, eine »art- und blutmäßig bedingte politische Führerauslese aufzubauen« — daß solches ermutigend und nicht eher deprimierend wirkt, das ist das Phänomenale. Man weiß schon, es sind Heroen, die den Befehl gaben, Gefangene anzuspucken⁠ ⁠; aber warum immer wieder die Visagen vorführen⁠ ⁠? Wenn der neue Ernährungsminister empfahl, »Kampfuntüchtige in Sümpfen zu ersticken«, was bisher nur erfolgreich mit Russen unternommen wurde, so erhält man durch diesen Anschauungsunterricht wahrlich einen so niederschmetternden Begriff von Eugenik wie der biedere Kent, als er vor der Runde ausbrach⁠ ⁠:Herr⁠ ⁠! Grad heraus und offen ist mein Brauch⁠ ⁠:Ich sah mitunter bessere GesichterAls hier auf irgend einer Schulter jetztVor meinen Augen stehn. Also das sind die, die die andern sterilisieren wollen⁠ ⁠? Wie, und der Betrachter verspürt nicht Sodbrennen, wenn immer wieder vor Gruppen Einer leutselig und insbesondere kinderlieb erscheint⁠ ⁠? Sein Herz gehört der Jugend. Die Schuljugend von Oberstaufen mit ihren Hakenkreuzfahnen hat’s dem hohen Herrn besonders angetan. Dieses kleine Mädchen rief dem Führer aus der harrenden Menge zu⁠ ⁠: »Ich habe heute Geburtstag«, worauf es von Adolf Hitler zu Kaffee und Kuchen eingeladen und mit Bild und Namenszug beschenkt wurde. Links Reichsjugendführer Baldur von Schirach. Und überhaupt⁠ ⁠: dieses gigantische Pfauenrad einer Popularität, vor der das Dasein Bismarcks zum Inkognito wird⁠ ⁠; dieses unersättliche Byzanz aller Arten von Lächeln und Händedruck mit Hoch und Nieder, Auwi und Unterwelt⁠ ⁠; diese unerschöpfliche Monotonie der Gesichter, hinter deren gleichgeschalteter Sehnsucht riesengroß die allbegnadende Form durchscheint⁠ ⁠; dieser tausendfache Zerrspiegel aller Positionen zu Land und Lufthansa, mit allem, was da kreucht und fleucht, und noch mit den Amateurinnen in dem Moment der Ekstase, wo es knipst — wem, der hineinschaut, würde nicht für Volk und Menschheit bangen⁠ ⁠? Einem nicht⁠ ⁠: Er liest keine Bücher. Ihn interessieren nur die tatsächlichen Probleme des Lebens . . . Seine Lektüre besteht aus illustrierten Zeitungen. Und sie zeigen ihn noch, wie er sie liest, allein oder kordial mit Göring, der, als Hias verkleidet, sich mit ihm freut. Und es ist die Lektüre der Millionen, denen alles vor Augen tritt und nichts auffällt. Selbst wenn einmal mitten drin »Leidende Menschheit« erscheint und das Weltbild Folterungen einbezieht. Denn es sind ja nur indische Selbsttorturen, und daß »Haken durchs Rückenfleisch getrieben« werden, geschieht bloß zu Ehren der Göttin, während der heimatliche Zustand durch ein Frühlingsidyll anschaulich wird, zu dem ein zärtliches Paar den Hymnus anstimmt⁠ ⁠:Raus aus Berlin,Wenn in Werder die Aeppel blihn⁠ ⁠!Von Liebe geplappert,Mit de Oogen geklappert⁠ ⁠!Heut is uns die janze Welt ejal⁠ ⁠:Komm Mieze, trinke mal⁠ ⁠! Diese Stellung zur Welt, die öfter sogar scheißegale Formen annimmt — nun, sie zeigt, daß nur eine besondere Fasson angestrebt wird, selig zu werden.