Nein, von allen Mißgestalten des zivilisatorischen Lebens ist diese, wenn schon nicht die gefährlichste, so doch die naturwidrigste. Denn was wäre ungereimter als der nüchterne Rausch an der unerschöpflichen Tirade, Fanfaronade und Rodomontade, deren Inhalt, falls so etwas überhaupt durch den Schall dringt, durch nichts überzeugt als durch den Widerspruch der Vorstellung, der zwischen Büro und Barrikade waltet⁠ ⁠! Als durch die mitgeborne Satire auf das Gehaben eines Kunktators, gegen den der Fabius ein Springinsfeld war. Man weiß schon, es wäre der sehnlichste Wunsch dieser Parteikunktionäre, die ja nicht so sehr die Verantwortung ihres Tuns vor dem Feind wie die ihrer Unterlassung vor den Eigenen zu fürchten haben — es wäre ihnen am liebsten, wieder ein ruhiges Leben in schöner, gesicherter Opposition führen zu können⁠ ⁠; und darüber hinaus darf man ihnen, mit echterm Anteil, die Verluste nachfühlen, die die Angeführten erleiden und die sie ihnen zuzuschreiben haben. Aber warum sagen sie’s denn nicht endlich, daß sie das Ventil für solche Leidenschaften brauchen, die noch durch Parlamentsreden abgelenkt werden können, wissend, daß gegen die andern sie von der Regierung autoritär besser geschützt sind⁠ ⁠? Warum muß denn immer noch »gekämpft« werden, wo jede Faser des Wesens zum Paktieren neigt⁠ ⁠? Auch gibt es ja zwischen jenem und diesem noch den goldenen Mittelweg des Packelns, und wäre selbst solches nicht ehrlicher, wo man ohnedies immer vermutet, daß es bereits geschieht⁠ ⁠?Sie streiten sich, so heißt’s, um Freiheitsrechte,Genau besehn sind’s Knechte gegen Knechte. Und wenn es vor dem Problem des nackten Lebens wichtig scheint, sogar das der Weltanschauung, soweit sie vorhanden, zurückzustellen — nur »für die Dauer der besondern Gefahr« —⁠ ⁠; und wenn eine Fahne, wie immer man zu Fahnen stehen mag, nun einmal verboten ist⁠ ⁠: ist es da würdig, sie, wie die Hoffnung auf dem Grab, auf Giebeln und Schornsteinen aufzupflanzen und mit Wachleuten, die doch mit einer ernsthafteren Gefahr zu tun haben, Fangerl zu spielen⁠ ⁠? Ist es nicht ein Unfug, der schon an die Nichtswürdigkeiten hinanreicht, die jetzt die Wächter in Atem halten⁠ ⁠: sie eben davon abzulenken, sie förmlich apportieren zu lassen und dann höhnisch zu rapportieren⁠ ⁠: Die Wachebeamten sparen nicht mit grimmiger Anerkennung der einzigartigen Verwegenheit, mit der die geheimnisvollen Rebellen die verbotene Fahne an Stellen befestigten, die sonst nur für Vögel erreichbar sind . . . Erst nach zweistündiger Arbeit gelang es zwei Wachebeamten, drei der zwölf Fahnen herunterzuholen . . . während die Betrachter »mit merkwürdig vergnügten Mienen hinaufblinzelten«. Soll man es glauben, dieses Bubenspiel bildete eine Rubrik des Zentralorgans, welche leider mit der andern abwechselte⁠ ⁠: Ein Wachmann stirbt an den Folgen der Überanstrengung. Sie ist geleistet in der beispiellosen Abwehr einer Verschwörung gegen Leben und Eigentum, Tag für Tag, Nacht für Nacht — und »geheimnisvolle Rebellen« frozzeln eine Wachsamkeit, die sie selber vor Bomben behütet, mit Fahnenwitzen⁠ ⁠! Das Organ der Rebellen meldet⁠ ⁠: Rayonsinspektor Friedrich Flassak ist in den letzten Tagen nicht oft aus den Schuhen gekommen — — bis Mitternacht Dienst gemacht. Drei Stunden später — — Alarmbereitschaft — — schon wieder im Dienst. Kein Zweifel⁠ ⁠: er ist an den Folgen der Überanstrengung gestorben. Und nach dem aufregenden Fund einer Sache, die — denn das gibt’s auch⁠ ⁠! — nur eine »Scherzbombe« war. Nicht nach Herabholung einer Scherzfahne, für die wir Überstunden auch nicht beanstanden würden. Denn das, was wie ein Schulbeispiel von grobem Unfug aussieht, dient ja dem Kampf um die Freiheit, für den ihr Zentralorgan sich auf Giordano Bruno beruft. Immer empor — ohne doch den Rekord des Hakenkreuzes zu erreichen, mit welchem Felswände beschmiert werden, was wir natürlich als Bubenstück tadelnswert finden. Aber nein, auch hier noch weiß Demokratie der Notwehr zu begegnen. Denn weil Behörden den gesunden Einfall hatten, die Mühe der Säuberung mitschuldigen Gesinnungsbrüdern aufzulegen, wenn die Schuldigen nicht zu finden waren oder sich nicht stellten, so wagt die prinzipielle Dummheit den Protest der Beschwerde, die Methode der »Putzscharen« sei nichts anderes als die deutsche der Geiselnahme. Nicht auszudenken⁠ ⁠! Die sittliche Erfassung der Parteibüberei aus dem Begriff agitatorischer Verantwortlichkeit gleichgestellt der Erpressung, die die Unschuld zum Pfand macht. Dieses Rechtsbewußtsein, das sich justament aufbäumt, wenn »die Verletzung demokratischer Freiheitsrechte den Gegner trifft«, hat etwas Erhabenes, von welchem es nur einen Schritt gibt⁠ ⁠: zu der Vorstellung, daß die Tarnopoler Moral zu den Nazis entflohen ist, während hier ein Richter von Kolomea unerschütterlich seines Amtes waltet. Wenn er aber die Angehörigen der Schmierscharen, die jeweils nicht auf frischer Tat betreten werden und ihrer immer fähig sind, für »Unschuldige« hält, »die zur Strafleistung herangezogen werden«, so müßte er doch wenigstens zulassen, daß schadenfrohe Gutheißer, redaktionelle Anstifter des Fahnenulks für die Vollbringer büßen. Viel Zeitvertreib, doch auch viel Schicksal bliebe der Menschheit erspart, wenn’s nichts dergleichen mehr gäbe. Ein gefärbtes Stück Tuch bedeutet dem Einzelnen nichts⁠ ⁠; daß es die Menge braucht, ist eine große Möglichkeit des Verderbens. Bis dahin wirkt es verblödend, macht Erwachsene zu Kindern. Und wie steht man zum Ernstfall, den das Emblem der andern heranbrachte⁠ ⁠? Wenn die Stadt von einer tausendköpfigen Gefahr bedroht wird, die mit Ammonit, Schwefelsäure und Drahtzangen operiert, die sich an Telephonzellen, Briefkasten und Straßenbahnschienen zu schaffen macht und täglich neue Tücken bereit hat — da heißt es im Fettdruck, das Gefühl, in einem Rechtsstaat zu leben, sei »auf das tiefste erschüttert«. Wodurch⁠ ⁠? In Österreich werden Tausende von Menschen täglich eingesperrt auf Grund von Verordnungen. Dieselbe Beredsamkeit, der es »gar nicht einfällt, irgendetwas zu unternehmen, was jenen die Wege ebnen könnte«⁠ ⁠; die die Halbheit der Maßnahmen beklagt⁠ ⁠; die es »selbstverständlich findet, daß ein Land sich im Kriegszustand zur Wehr setzt«⁠ ⁠! Liegt hier nicht schon eine Denkart vor, gleichgeschaltet jener, die Metaphern auf ihre Wirklichkeit zurückführt⁠ ⁠? Der Demokrat, der der Polizei in den Arm fällt, weil sie ihn nach einer Notverordnung vor Einbrechern schützen will — der Fall begibt sich⁠ ⁠! Und mit dieser Geistigkeit, die so um die fixe Idee schwankt, hält man sich — trotz jener täglichen, kläglichen Hinablizitierung der Maiparole — für stark genug, dem Helfer zu trotzen. Wer aber außer einem Lügner hätte den Mut, zu leugnen, daß Notverordnungen nicht immer nur einer Regierung den parlamentarischen Mißerfolg ersparen, und daß die schlimmsten sozialen Rückschläge, die bei heilloser Gegebenheit ein gereizter Gegner verursacht, immer noch tragbarer sind als Todverordnungen⁠ ⁠? Wer außer dem Heuchler könnte es verantworten, das Verdienst ihrer Abwendung auf Schritt und Tritt zu verkleinern, durch Verschweigen zu entstellen, durch üble Einrede zu stören⁠ ⁠? Ist es nicht schon ein vertracktes Maß von Gesinnungstüchtigkeit, in solchen Zeiten auf ihrer Ausübung im Umherziehn zu bestehen⁠ ⁠? Gegen die endliche Hemmung des Unfugs zu rebellieren, daß eine arme Menschheit noch ihre letzten Schuhe zerreißt, und das demokratische Ideal der Versammlungsfreiheit für jene retten zu wollen, die ihr nach wirksamerm Gebrauch das radikalste Ende bereiten würden und nur noch die Konzentration zugeständen⁠ ⁠? Als ob bei dem Gerede etwas anderes herauskäme, als daß wir »kämpfen wollen«, wenn wir könnten, und die dem Kräfteverhältnis nicht minder widersprechende Behauptung, daß wir in sämtlichen Hinsichten, die es gibt, »keine Vasallen« sein wollen. Wir wollten hin zur deutschen Republik. Wir wollen nicht ins deutsche Konzentrationslager. Tun aber alles, damit wir hineinkommen. »Wir wollen nicht« den braunen Faszismus, »wir wollen aber auch nicht« den schwarzen. Aber was wir eigentlich wollen, ist noch nicht herausgekommen, und das Fazit ist nur, daß wir uns von diesem vor jenem retten lassen müssen, was wir ja immerhin »wollen«. Denn die Entscheidung, vielleicht doch lieber »eine Kolonie Frankreichs« als eine Preußens zu sein, dessen Sprache schwerer zu verstehen ist, erscheint noch nicht aktuell. Bis dahin bleibe diese Geistigkeit, die der Gabe nicht entbehrt, Sachverhalte, an die sie nicht glaubt, klarzulegen, der Selbstaufopferung für ein Deutschtum fähig, das sich nach alter Usance »bedroht« fühlt, sobald es in Land- und Weltbedrohung gehemmt wird. Wenn sie nicht endlich doch hätte helfen müssen, es aus den Parlamenten hinauszujagen, sie hielte in Verfassungstreue zu ihm und stimmte gemeinsam gegen die »Schleppträger«, wie in dem denkwürdigen Schulter an Schulter mit jenem großdeutschen Sepp. Denn immer wird sie die Redefreiheit für diejenigen postulieren, die im Gegensatz zu ihr sie zur Handlungsfreiheit verwenden — so lange, bis sie doch einmal die Erörterung des Rassenproblems herbeiführt, wie Juden so blöd sein können.