Im Gegenteil, sie protestieren selber, und zwar gegen »österreichische Greuel« . Gegen die Art und Weise, wie man hier ihren agent inspecteur behandelt hat. Gegen die Polizeistrafen, die hier ihre Getreuen erdulden müssen. Sie erbringen photographische Beweise, wie wirklich und nicht etwa angeblich Verhaftungen erfolgt sind. Sie beschweren sich im Rundfunk, daß man einen deutschen Journalisten die Zelle eines österreichischen Homosexuellen teilen ließ (was hier vielleicht noch als Courtoisie beschönigt wird). Man verfolgt Bombenwerfer, die doch nur Kurse abgehalten haben ; Idealisten , die praktisch nichts getan haben als Schwefelsäure in Postkasten und Dreck in Automaten . Darum wehren sie sich mit dem Aufschrei : Und da schweigt das Weltgewissen ? Mit dem Tonfilm : Erschütternde Bilder von der Not eines geknechteten Volkes. Und darum haben sie sich nicht anders helfen können als mit der Absperrung der Grenze , mit der Ausreisebewilligung für Attentäter , mit der Aufstellung einer Legion , mit der Revoltierung eines Landes, von dem gesagt werden kann : Die Politik der österreichischen Regierung hat zu einer allgemeinen internationalen Beunruhigung geführt. Man darf aber nicht glauben, daß es im Handumdrehn gelänge, das kunstvolle Netz dieser Kreuzspinne zu entwirren, und daß Entwirrung die Fliegen, die sie fing, zu sich brächte. Hundert Maschen greifen ineinander zu Lug und Trug : Man weiß von nichts und redet von etwas anderm ; man hat nichts getan, aber der andre ist dran schuld ; es ist nichts geschehn und er hat es getan ; man bezichtigt den, der die Wahrheit sagt, der Lüge, auf der man ertappt wurde. Man findet was man tut, tadelnswert, sobald es der andre tut, oder wenn man’s bloß selbst tut. So kann man in der Telephonzentrale politische Gespräche ausspitzeln und in der Zeitung den »zunehmenden Unfug der Abhorchung« beklagen ; man kann »den Feuerüberfall aus sicherem Versteck feigen, gemeinen Meuchelmord« nennen , und ihn ausführen. Was du nicht willst, daß man dir tu, erlüg und füg dem andern zu : Flugzeugpropaganda. Der Einbruch in Österreich ist eine innere Angelegenheit Deutschlands und »die Verschlechterung der englischen Stimmung ist wohl darauf zurückzuführen, daß die englische Öffentlichkeit die Absichten Deutschlands gegenüber Österreich nicht versteht « ; infolgedessen gibt es einen angeblichen deutsch-österreichischen Konflikt und eine angebliche Einmischung Deutschlands in österreichische Verhältnisse durch angeblich erfolgte Abwerfung von Flugblättern auf österreichischen Boden , während die wirkliche auf deutschen Boden zu einer angeblichen Aufrüstung Deutschlands auf dem Gebiet der Luftfahrt beigetragen hat, woraus sich die angebliche Demarche der Mächte erklärt. Daß die Unabhängigkeit Österreichs gesichert werden muß — erklärt das Wolffbüro dem Schafbüro —, ist klar , aber ihre Verletzung geht weiter und der angebliche Wortbruch wird nicht auffallen, wenn man noch das Kommuniqué des Versprechens fälscht. Will uns die Welt dann noch immer nicht verstehen, so wird sie gefragt, »ob denn die große Friedensrede des Reichskanzlers vom Mai schon vergessen« sei . Gleichzeitig verlangt der General Epp die Kolonien und ergänzt die pazifistische Einsicht, daß die Regierung wegen Versailles diesen Kampf nicht unterstützen könne, durch die Feststellung : Die nationalen Verbände sind aber an die vorsichtige Behandlung der Frage durch die Regierung nicht gebunden. Wenn nun die bayrische Staatsregierung zu der ihr noch näherliegenden österreichischen Frage erklärt, daß ihr wie der SA-Führung von Schwierigkeiten an der Grenze »nicht das geringste bekannt« ist und daß »niemand in Bayern daran denkt, sich in die inneren Angelegenheiten Österreichs einzumischen« , so ist es wieder eine vorsichtige Behandlung, an die die nationalen Verbände nicht gebunden sind. Nicht einmal ein bayrischer Minister, jener Frank II , der von allem Anfang an dem Terror der österreichischen Regierung den Entschluß entgegengehalten hat, »die Sicherung der Freiheit unserer deutschen Volksgenossen in Österreich vorzunehmen« und durch eben den General Epp »Ordnung machen zu lassen« , der zwischen den Vertragspflichten einer Regierung und der nationalen Notwendigkeit zu unterscheiden weiß. Der Welt geht es durcheinander. Daß sie die Taten, die seit einem halben Jahr vollbracht wurden, hingenommen hat, liegt wahrscheinlich an der lähmenden Wirkung des Entsetzens. Wie aber kam sie an den Worten ohne Gehirnkrampf vorbei ? Und immer noch folgt Fortsetzung. Während Hinterlist das Mittel der Offenheit nicht verschmäht, bietet das Schuldbewußtsein dem Ankläger die Stirne. Das spielt sich in den schlichtesten Formen einer Frechheit ab, über die eine Dialektik der Gewalt verfügt, wirkt aber gerade dadurch verblüffend und entzieht sich der Erfassung. (Wir wollen dieses Verfahren »Uschla« nennen und behalten uns die Erklärung des nicht minder rätselhaften Ausdrucks vor.) Auf österreichischem Terrain ist es eine Argumentation, die so ins geistige Bruderland entwischt, wie der Täter, den sie deckt, ins geographische. Flucht und Ausflucht im Vertrauen auf ein Gesetz der Trägheit, das aber zum Glück durch Notverordnung ersetzt wurde. Hier konnten Mitwisser von Bombenwürfen ein Spiel der Versionen aufführen : von der konkreten Angabe, daß es Kommunisten waren, welche »Matuschka -Methoden an wandten« , bis zu der grausen Mutmaßung, daß sich jener unglückliche Juwelier Futterweit aus Parteihaß, Reklamesucht oder Hysterie selbst zerrissen habe : Hat man Angst, einen zweiten Meller -Skandal heraufzubeschwören, bei dem statt eines Küchenmessers einige Bomben Anwendung fanden ? Konnte der Satiriker der Bombenpresse fragen, eine Persönlichkeit, von der sich später herausstellte, daß sie, fern jeder Fiktion, für Einbruch, Diebstahl, Betrug und Veruntreuung mit vier Jahren schweren Kerkers vorbestraft ist ; und griff zum Pathos : Wir haben die Wahrheit nicht zu fürchten. Wir werden sie selbst suchen helfen und keine Mühe scheuen, die wahren Täter zu entlarven. Die Begründung dafür, daß es nicht Nationalsozialisten sein konnten, entbehrte nicht des ethischen Beischmacks : Es ist nicht unsere Art, durch Bombenwürfe auf jüdische Geschäftsinhaber arische Käufer oder unschuldige arische Straßenpassanten zu gefährden. Da die Überführung parteigenössischer Meuchelmörder bevorsteht, so erscheint die Bevölkerung von unverantwortlichen Elementen, deren Persönlichkeit noch immer unaufgeklärt ist, begreiflicherweise sehr beunruhigt. Als, ohne jegliche Mühe der Mitwirkung, die wahren Täter entlarvt waren : Solange die Polizei nicht die Namen der Verhafteten veröffentlicht hat, ist es unmöglich, die Gerüchte und Behauptungen zu kontrollieren. Da sich herausstellte, daß die meisten entwischt waren (was jener wußte) : In sage und schreibe fünf Fällen ist es der Polizei nicht gelungen, einen einzigen Täter zu erwischen . . . Wo sind die Täter , die nach Steidle schossen ? Wo die Täter , die eine Höllenmaschine ins Portal des Einheitswarenhauses auf der Wieden legten ? Wo die Täter , die den Sprengkoffer in der Produktenbörse deponierten ? Der eine schrieb aus Bayern, er habe jetzt einen fabelhaften Trainer, entweder ich trainiere oder ich faulenze und bade. Einen kriegte man erst, als er mit falschem Paß zur Reprise heimkehrte . Die vollkommene Überführung parteiamtlicher Bombenwerfer aber — was bedeutet sie ?Keine Beteiligung der NSDAP an den Bombenattentaten nachzuweisen. (Uschla !) Seit jener Weltkriegsszene hat Wagenknecht die Unterweisung Sedlatscheks fortgesetzt, welcher nun nicht mehr bloß aus linguistischem Interesse fragt : »Herr Oberbombenwerfer, derf ich jetzt eine Bomben oberwerfen ? « Soweit man der Schüler habhaft werden konnte, äußert sich die Verantwortung in einem Gebilde aus angelernter Dementiersucht und bodenwüchsiger Verlogenheit, jargonmäßig gemischt aus diesem grauenhaft stereotypen »Jawoll !« und »I waß von nix«, »I hab nix tan« ; sie können sich an nichts erinnern und sie haben sich beim Rauchen einer Zündschnur nichts gedacht ; erst aus den Zeitungen haben sie erfahren, daß es eine Höllenmaschine war . Allein nicht die Anschauung des Auswurfs, dem die nationale Praxis vorbehalten ist, sondern das Bild der geistigen Schmiede, das die Dokumente der ‚Reichspost‘ enthüllt haben — das ist es, was das Unglück erst fühlbar macht, daß ein Staat an so etwas seine Sorge und Wehrkraft wenden muß; und was die Vergeblichkeit einer satirischen Erfassung zeigt, der es Hohn spricht. Gräßlich diese ausführenden Proleten, gräßlicher diese Mittelstandmachiavells . Bevor man der Lebensgefahr staatsmännisch gerüsteter Kriminalität bewußt wird, fühlt man sich schon ins Gehirn getreten von der Vorstellung, daß eine Gesellschaft von Postenfanatikern, mißvergnügten Philistern, die sich mit Scherznamen anrülpsen, von »Flatterern « und Gatterern, von »Schweinsköpfen «, die einander vor dem Futtertrog auffressen, daß solche Sorte das Mittel hat, an dem die Welt genesen soll . Es ist so beschaffen : Zugegeben sei, daß diese dritte Möglichkeit ein sogenannter »jüdischer Dreh« ist. Aber gesetzlich ist er zulässig und unanfechtbar . . . Das Blatt muß zur Erbauung unserer Parteigenossen dienen . . . Ein Evangelium muß sonach verkündet werden. Immer und immer wieder. Das kann nicht konfisziert, nicht unterdrückt werden, besonders wenn man es vornehm, kurz so hält, wie eine Predigt in der Kirche sein sollte . . So kann man sich mit einigem Geschick eine Anzahl von Wochen, vielleicht sogar von Monaten durchlavieren. Das aber ist in der gegebenen Situation die Hauptsache — Erbauung brauchen unsere Leute ; dann werden sie die jüdische Presse nicht lesen . . Der Chefredakteur müßte eben zu diesem und zu jenem Minister sich hinbegeben, mit ihm einige freundliche Worte reden, ihn daher einschlummern und auf diese Art täuschen. Denn ums Täuschen geht es anfänglich. Daß man diese Tätigkeit auf das Glänzendste mit einem sehr nützlichen Kundschaftsdienst verbinden kann, sei nur nebenbei angedeutet. Aber es genügt, um die bekannte Kulturmischung von Schokolade mit Knoblauch, Gurgelabschneider mit Treublick, Gangster mit Heiligenschein zu agnoszieren. Dazu gehört natürlich ein Braunwelsch, aus dem sich zur Not entnehmen läßt, daß der Habicht den Proksch um die Ecke bringen wollte, denn dieser hatte zwar Erlaubnis von Motz und Röhm (»mit« einer der Besten, die wa haben), aber : Darauf hat man seitens Habicht gewartet, um ihn mittels Uschla-Verfahren außenpolitisch kaltzustellen. Es bedeutet also, außer schlechtem Deutsch in jeder Letter, einen »Untersuchungs- und Schlichtungsausschuß «, der sich wohl nicht so sehr mit Sprachproblemen als mit Fememord befaßt. Damit aber auch gar nichts mehr fehlt : noch etwas vom Wolffbüro, nämlich daß es nicht wahr ist, daß man von nichts weiß, mit einem Wort daß sich unter den Dokumenten angebliche Briefe des Außenpolitischen Amtes befinden . Man denkt nicht daran, das Tor Österreichs mit List oder Gewalt aufzusprengen, i wo ! Keine Spur von irgendwas, kein illegaler Kurierdienst , keine Wirtschaftssabotage , wir stehen nicht »mit Siemens wegen einer Verschärfung der Lage in Verbindung «, keine getarnte Presse, keine Ministerialspionage , keine Verschwörung gegen Österreich , keine Legion vor dem Tor . Wie konnte so ein Mißverständnis entstehen ! Es kann nur versichert werden, daß »von einem deutschösterreichischen Konflikt selbstverständlich nicht die Rede sein kann «, außer etwa der im Rundfunk noch zu hörenden . Die Deutsche Gesandtschaft eine Agentur für Hochverrat an Österreich ? Bitte : die Dokumente sind von ihr im Benehmen mit dem Bundeskanzleramte einer Prüfung unterzogen worden. Der Gesandte stellte dabei fest daß er von nichts weiß, und wie sich der Partner benahm, fragt man dann gar nicht, weil es die deutsche Sprache in sich hat, die deutsche Sache glaubhaft zu machen. Uschla ! Alles glaubhaft, nichts mehr überraschend, ja, wenn Österreich nicht Ruhe gibt, so ist Deutschland imstand und bringt es vor den Völkerbund ! Es ist die ultima ratio — Habicht hat gewarnt. Diesmal ging’s noch. Berlin kann »feststellen«, es sei »erfreulicherweise rasch und vollständig Klarheit geschaffen worden« ; freilich muß hinzugefügt werden : Es ist aber nach wie vor bedauerlich, daß man in Österreich zu solchen Mitteln gegen einen stammverwandten Staat greifen zu müssen glaubt. Will denn Österreich noch immer nicht Unruh geben ? Der Böseste kann nicht in Frieden bleiben, wenn es dem frommen Nachbar nicht gefällt, und wenn er sich immer wehrt ! Wie oft hat Hitler Dollfuß gemahnt, daß »sich mit Gewalt in der Politik nichts ausrichten lasse« ! Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht und der ‚Völkische Beobachter‘ bricht aus : Mögen die verantwortlichen Männer in der Regierung weiterhin die Rechte des Volkes mit Füßen treten ; ein furchtbares Erwachen wird ihnen am Tage der kommenden Erhebung die Gewißheit einhämmern, daß man mit Willkür und Verboten nicht straflos ein Volk regieren kann. In Deutschland bekommt ein Ausländer für einen Brief, worin er »Maßnahmen der Regierung gegen die Juden« mitgeteilt, sich also des »schwersten Mißbrauchs der Gastfreundschaft« schuldig gemacht hat, bloß zwei Jahre Gefängnis , und dieselbe horrende Strafe wird in Österreich dem Volksgenossen zuteil, der nichts als den Versuch unternommen hat, ein Judenviertel in die Luft zu sprengen . Und welch ein Kontrast : Während Deutschland unter der Herrschaft Adolf Hitlers einem wirtschaftlichen Aufschwung entgegengeht, geht Österreich unter der Gewaltherrschaft des Herrn Dollfuß zugrunde. Uschla. Alles wird eulogisch. Immerhin, ein Stachel bleibt. Resignation des Bruders, dessen Liebe keine Landesgrenze kennt ; Staunen und Schmerz : daß harmlose Touristen in einem Bruderstaat einer derartigen Behandlung ausgesetzt sind. Man weiß daß es keinen wahrhaft Deutschen gibt, der Österreich und sein Volk nicht wie sein eigenes Volk liebt. Daß noch der steckbrieflich Verfolgte aufgenommen wird, als wäre er zu Hause. Man weiß, Österreich ist von jeher die Sehnsucht aller Deutschen, welcher selbst eine Taxe von 1000 Mark kein Hindernis bedeutet und die ihre Erfüllung nötigenfalls noch mit weiteren Repressalien durchsetzen wird, denn Rhein und Donau sind im Range völlig gleichwertig. Was aber selbstverständlich nicht die entsprechende Schaltung erfordert, da im Gegenteil das, was der Deutsche an Österreich und an seinen Bewohnern liebt, was ihn immer wieder an die Donau zieht, ja gerade die Eigenart des Österreichertums ist. Da freilich dem Setzer dieser Umhalsung, die den Titel führt : Österreich über alles, Notwendige Klarstellungen die Sache etwas verdächtig war, so stellte er sie noch klarer : Deutschland will mit Österreich, mit dem es durch unlösbare Banden des Blutes verbunden ist, zumindest innerlich verbunden bleiben. Das ist alles. Und mehr kann man schon nicht verlangen. Bereits im Juni hat Goebbels erklärt, daß sich die Reichsregierung gegenüber Österreich »von keinerlei Parteirücksichten leiten« lasse sondern nur von dem Wunsche, Zwischenfälle zu vermeiden, die das Verhältnis zwischen Österreich und Deutschland stören könnten. Hat denn Österreich »ein Interesse an einer Verschärfung der Beziehungen« ? Von deutscher Seite, das dürfte keinem Zweifel unterliegen, werde das Gegenteil angestrebt. Zweifelt man aber auch noch, daß meine Erfassung des Typus »verfolgende Unschuld« schon im Weltkrieg den Schlüssel zum Verständnis geboten hat ? Wenn »der Viermächtepakt keine geeignete Plattform« ist , diese Formel ist eine ! Und eine noch bessere die Wahrnehmung : sie schalten nicht so sehr gleich wie um ; sie überwälzen ; sie machen Untersuchungs- und Schlichtungsausschuß. Was sie tun, ist handgreiflich, aber da sie’s faustdick hinter den Ohren haben, wird es angeblich ; sie machen einen Wirbel, und es ist in Ordnung, sie trüben das Wasser und schaffen Klarheit ; sie machen Uschla : Was ist denn eigentlich geschehen ? Flugzeuge nicht erkennbarer Herkunft haben Flugblätter über österreichischen Orten abgeworfen, die sich gegen die jetzige österreichische Regierung wendeten. Das ist alles.